Skip to main content

Mutterliebe auf den ersten Blick

Direkt nach der Geburt spielt sich auch in der mütterlichen Gefühlswelt ein wichtiger Prozess ab: Während die Frau in der Schwangerschaft ihr Kind als Teil der eigenen Persönlichkeit geliebt hat, wird diese Einheit durch die Geburt zunächst aufgehoben. Das Kind ist jetzt ein eigenständiges, mit Mutterliebe überhäuftes Wesen.

Mutterliebe

 

Viele Mütter sehnen diesen Augenblick herbei, andere Frauen erleben die unwiderrufliche Loslösung des Kindes vom eigenen Körper mit gemischten Gefühlen. Kann das Neugeborene in den ersten Minuten nach der Entbindung bei der Mutter bleiben, erleichtert dies die gefühlsmäßige (Wieder-)Annäherung und Umgewöhnung an die neue Situation. Aus biologischer Sicht wird dieser komplizierte Prozess der „Mutterlieb“ durch die Ausschüttung bestimmter Hormone (Prolaktin und Oxytozin) und durch den Anblick des kleinen, hilflosen Wesens ausgelöst. Wissenschaftler bezeichnen diesen Moment als optimalen Zeitpunkt, liebevolle Gefühle (Mutterliebe) zu entwickeln.

Doch auch die innere Einstellung, Partnerschaftskrisen, Zukunftsängste oder finanzielle Probleme prägen diesen wichtigen Gefühlsmoment. „Die Hormone wirken nie allein, sondern immer im Wechselspiel mit der Seele“, so die Berliner Frauenärztin Melanie Meiyer.

Wenn Eltern ihr Neugeborenes anschauen, streicheln und versorgen, entwickeln sie meist rasch liebevolle Gefühle zu diesem kleinen Wesen.

Das erklärt, warum Mutterliebe von Frau zu Frau und von Geburt zu Geburt unterschiedlich sind: Vom großen, überwältigenden Glück bis zur anfänglichen Ablehnung kann die Bandbreite emotionaler Empfindungsfähigkeit reichen. Das unmittelbar nach der Geburt einsetzende Hochgefühl allumfassender Mutterliebe ist deshalb keine Selbstverständlichkeit, und es handelt sich nicht um eine Gefühlsregung, die sich auf Kommando heraufbeschwören lässt. Zwar ist die Bereitschaft zur Fürsorge, zum „Nesttrieb“ angeboren, aber die emotionale Empfindungsfähigkeit muss sich oft erst noch entwickeln. Dafür brauchen Mutter und Kind nicht nur viel Zeit und Ruhe füreinander, die Mutter muss sich auch ihrer „Kompetenz“ sicher sein. Solange sie die Signale ihres Babys noch nicht richtig deuten kann, fühlt sie sich wahrscheinlich erst einmal unsicher und ängstlich.

Mutterliebe und Vaterliebe

Ihre Liebe zu dem Kind kann deshalb oft nicht von Anfang an in aller Stärke vorhanden sein. Das Gefühl wächst jedoch mit zunehmender Sicherheit: Nach einiger Zeit intensiven Zusammenseins spürt die Mutter, was ihrem Kind guttut, wie sie es am besten beruhigen kann, ob es Hunger hat oder ob es Zuwendung braucht. Darüber hinaus spielt auch das körperliche Wohlbefinden der Frau nach der Geburt eine wichtige Rolle. Fühlt sie sich beispielsweise völlig erschöpft und ausgelaugt, ist die innere Aufmerksamkeit zunächst mehr auf die eigene Erholung gerichtet.

Manche Frauen berichten auch von einem „dumpfen Gefühl der Leere“ nach der Geburt, was angesichts der körperlichen Anstrengungen und der seelischen Strapazen während der Schwangerschaft ganz normal ist. Auch deshalb erscheint es um so verständlicher, wenn sich die vielbeschworene Mutterliebe nicht gleich in ihrer höchsten Ausprägung einstellt. Doch die Betroffenen sind oft von ihren eigenen Gefühlen enttäuscht. Und statt Zufriedenheit machen sich Versagensängste und ein schlechtes Gewissen, gepaart mit massiven Schuldgefühlen breit und beherrschen die Gefühle der frischgebackenen Mutter.

Solche Gedanken schaden weder dem Kind noch beeinträchtigen sie das Bindungsverhalten. Wichtig ist vielmehr, dass die Mutterliebe Raum und Zeit zum Wachsen bekommt!

Der erste Kontakt des Babys zum Vater

Lachen mit Papa

Das erste Lachen in Papas Arm

Für die Vaterliebe trifft das Gesagte übrigens in ähnlicher Weise zu. Während früher die Männer ihren Nachwuchs erst nach der Entbindung durch die Glasscheibe der Neugeborenenstation zu Gesicht bekamen, sind heute die meisten Männer bei der Geburt ihres Kindes dabei. Dadurch können sich die Väter nicht nur innerlich leichter auf die Ankunft ihres Kindes einstellen, sondern sie stellen auch von Anfang an leichter eine liebevolle Beziehung zu ihm her.

Durch den frühen Kontakt des Vaters zum Neugeborenen entwickelt sich auch die Vaterliebe

Doch auch für den frischgebackenen Vater ist dies nicht immer sofort möglich. Viele Männer empfinden eine Entbindung als gefühlsmäßige Grenzsituation, von der sie sich erst einmal erholen müssen. Und oft haben Männer auch den Wunsch, sich zuerst um ihre Frau zu kümmern, bevor sie das Neugeborene in die Arme schließen.